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Menscheln oder punkten? Die historische Chance der Verteidigungsministerin

Feministischer Zwischenruf

Befehlshaberin der Herzen. Mutter der Kompanie. Kaum war die Personalie von der Leyen als Verteidigungsministerin entschieden, klebten die ersten Kitsch-Etiketten. Von einer Frau in diesem Amt können noch ganz andere Dinge erwartet werden.

Ursual von der Leyen bei ihrem Besuch (23.12.2013) der Bundeswehr im Camp Marmal nahe Mazar-i Sharif (Afghanistan)
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Ursual von der Leyen bei ihrem Besuch (23.12.2013) der Bundeswehr im Camp Marmal nahe Mazar-i Sharif (Afghanistan)

Die nach Angela Merkel und Hannelore Kraft drittbeliebteste Politikerin Deutschlands räumt mal wieder ab: Die lästigen überteuerten Beschaffungsprojekte haben andere verbockt. Die legendär schlechte Laune der Soldat*innen nach der Bundeswehrreform kann eigentlich nur besser werden. Und dann hat Amtsvorgänger Thomas de Maizière ihr freundlicherweise ein dankbares Thema hinterlassen. Der Offizierssohn konnte nämlich mit der Vereinbarkeit von Dienst und Familie überhaupt nichts anfangen. Familie, das sind für ihn Frauen und Kinder die widerspruchslos jede wochenlange Abwesenheit des Mannes mittrugen und selbstverständlich zehn Mal mit umzogen, wenn der Dienst es verlangte.

Heide Oestreich ist Redakteurin der taz, die tageszeitung und betreut dort vor allem die Geschlechter- und Gesellschaftspolitik. 2004 erschien von ihr das Buch "Der Kopftuchstreit. Das Abendland und ein Quadratmeter Islam". 2009 wurde sie vom Journalistenverband Berlin Brandenburg für ihre langjährige Berichterstattung über unbewußte Geschlechterklischees mit dem Preis "Der lange Atem" ausgezeichnet.

Von der Leyen hat sofort kapiert, dass hier ein prima Thema liegt: Die Armee braucht Freiwillige, sie kann auch auf Frauen nicht mehr verzichten. Und Eltern sind heutzutage anspruchsvoller als es de Maiziere aus seiner traditionellen Familie kennt. Auch Väter lassen sich nicht mehr klaglos in der Welt herumschieben wie Zinnsoldaten. Die Bundeswehr ist jetzt eine Freiwilligenarmee, sie muss attraktiv sein anstatt schlicht zu diktieren und zu fordern. Von der Leyen braucht also nur zuzugreifen.

Das Familienthema kann die erste weibliche Verteidigungsministerin also glänzend besetzen und Lob von allen Seiten ernten. Allerdings könnte man von einer Frau in diesem Amt auch noch ganz andere Dinge erwarten. Denn die Männerwelt Militär führt im weltweiten Maßstab zu ganz anderen und gravierenderen Problemen. Die Bundeswehr ist in den Auslandseinsätzen mit der Situation konfrontiert, dass im Krieg in der Regel die männliche Hälfte der Bevölkerung unter Waffen steht und die Frauen dieser Situation ohne Waffen ausgesetzt sind.

Aus dieser Lage ergeben sich zahlreiche Folgeprobleme: Sexualisierte Gewalt ist als erstes zu nennen. Diese kann vom Feind, von den eigenen Soldaten und ja, sogar auch von Blauhelmen ausgehen. Auch in Flüchtlingslagern sind Frauen oft nicht gut geschützt. In Friedensverhandlungen sitzen natürlich nur die Gruppen, die Ärger machen: Die männlichen Warlords. Frauen haben dort keine Stimme. Und wenn der Wiederaufbau eines Staates konzipiert wird, dann dekretieren die männlichen Kriegseliten den Stellenwert der Frauen in ihrer Gesellschaft – Afghanistan lässt grüßen. In Nachkriegsgesellschaften sind zudem noch so  viele Waffen und traumatisierte Männer unterwegs, dass die häusliche Gewalt gegen Frauen rasant ansteigt.

Das alles kann man ändern. Blauhelme haben schon Gender-Beraterinnen in Friedenseinsätzen beschäftigt. Die stellten den Kontakt zu den Frauen im Land her und achten darauf, dass sie beim Wiederaufbau des Staates ebenfalls Gehör finden. Einheiten, die eine Schulung in Genderfragen erhalten hatten, zeigten sich überrascht und erfreut, wie gut der Kontakt mit der Zivilgesellschaft lief, wenn man Frauen mit einbezog. Von einem „sicherheitspolitischen Männergesangsverein“ sprach kürzlich der Generalinspekteur der Bundeswehr Volker Wieker. Dieser müsse dringend um die Frauenstimmlagen erweitert werden. Die dazugehörige UN-Resolution 1325, die verlangt, Frauen in Prävention, Konflikt und Post-Konfliktsituationen angemessen zu berücksichtigen, gibt es schon seit 2000, viel umgesetzt wurde noch nicht.